Was heißt eigentlich New Work?
Zu Beginn ein kurzer Exkurs: Sebastian Kienle ist einer der der besten Triathleten der Welt. 2014 hat er die prestigeträchtige Ironman-Weltmeisterschaft auf Hawaii gewonnen. In Interviews erzählt er gerne die Geschichte, dass in seiner Schulzeit einmal jedes Kind seiner Klasse einen Traumberuf für die Zukunft aufschreiben sollte. Kienle schrieb „Triathlon-Profi“ und wurde von seiner Lehrerin darauf hingewiesen, dass das gar kein Beruf sei. Er hat es dabei belassen. Heute ist er der einzige aus seiner Klasse, der aus seinem einstigen Traum tatsächlich einen Beruf gemacht hat.
Diese kleine Anekdote soll veranschaulichen, was den allermeisten Menschen im Laufe des Erwachsenwerdens passiert: Traumberufe bleiben Träume. Auch diejenigen, die ihren Job aus Leidenschaft und mit Überzeugung ausüben, stellen sich insgeheim meist noch die Frage, was hätte sein können.
Es ist die ewige Frage des modernen Menschen: Warum tun wir eigentlich das, was wir tun? In Zeiten, in denen der Mensch in manchen Bereichen schon jetzt kaum noch mit Maschinen, Programmen und künstlichen Intelligenzen mithalten kann, wird es Zeit, sich ernsthaft Gedanken über den Sinn der Arbeit zu machen. Denn sicher ist auch: die Berufswelt wird in Zukunft eine andere sein. Ob am Ende weniger oder bloß andere Jobs dastehen, lässt sich heute nur vermuten, aber eine gewaltige Umwälzung wird in jedem Fall stattfinden. Und wenn es gut läuft, gibt es am Ende eine Menge Traumberufe mehr.
Das Ende der alten Arbeitswelt
Ein „weiter so“ wird jedenfalls nicht mehr lange gut gehen. Der gigantische wirtschaftliche, kulturelle und technologische Wandel in der Arbeit und im Privaten zwingt uns, uns mit dem Thema New Work zu beschäftigen. Bestimmte Berufe werden überflüssig und es gibt überzeugende Prognosen, dass in Zukunft weniger Arbeit für mehr Menschen da sein wird. Und selbst wenn es anders kommt: Der Arbeitsplatz der meisten Menschen wird bald definitiv ein anderer sein.
Das letzte Mal, als ein ähnlicher epochaler Wandel der Arbeit stattgefunden hat, fegte die industrielle Revolution die alte Arbeitswelt innerhalb weniger Jahrzehnte fort. Mit klaren hierarchischen Strukturen, einer klaren Arbeitsteilung und starren Strukturen gelang es, Arbeit zu standardisieren und die Effizienz um ein Vielfaches zu steigern. Dieser Tradition ist die westliche Berufswelt bis vor einigen Jahren noch streng verpflichtet gewesen. Doch im neuen Jahrtausend gelangt diese Philosophie plötzlich und heftig an ihr Ende. Die Digitalisierung ist in ihrer Wirkung auf den Arbeitsplatz wohl nicht weniger heftig, als die industrielle Revolution es vor 150 Jahren gewesen ist.
Der Wandel greift ins Innerste des Selbstverständnisses der Arbeit. Die Generation Y fordert Sinnhaftigkeit, die Digitalisierung verändert die Arbeitsweise grundlegend, Arbeit 4.0, Robotics, Künstliche Intelligenz und diverse weitere Konzepte stellen die Weichen für das Ende repetitiver Arbeit.
Genau an diesem Punkt setzt das Konzept der New Work an. Was ist diese „Neue Arbeit?“
Was bedeutet New Work wirklich?
New Work, auf Deutsch „neue Arbeit“, ist ein Sammelbegriff für eine neue, zukunftsfähige und sinnstiftende Arbeitswelt und ein neues Arbeitsmodell. Das Konzept der New Work wurde vor mehr als vierzig Jahren von dem österreichisch-US-amerikanischen Sozialphilosophen Professor Doktor Frithjof Bergmann entwickelt. Bergmanns Forschung drehte sich um die Frage der Freiheit des Menschen. Dabei identifizierte er die Arbeit als Grund der größten Unfreiheit. Um glücklich zu werden und nachhaltig Beruf und Privatleben zu vereinen, müssten neue Wege gefunden werden – die Idee der New Work war geboren.
Im Zentrum des New Work-Konzepts stehen die Mitarbeiter. Sie sollen Freiheit genießen, sich selbst entfalten können und eine sinnstiftende Entfaltung der eigenen Persönlichkeit genießen. Für Unternehmen besteht die große Herausforderung darin, diese Anforderung zu erfüllen, Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden und gleichzeitig das Unternehmen nicht zu überfordern. Wenn das selbstbestimmte, freiheitliche Handeln der Mitarbeiter im Zentrum steht, dann erfordert das eine ganz andere Grundhaltung, als es früher die Norm war.
Und das ist eine wichtige Erkenntnis: New Work ist kein Projekt und kein angenehmer Nebeneffekt anderer Initiativen. New Work ist eine Kultur und eine moderne Mentalität der Arbeit, an der man arbeiten und die man bewusst fordern und fördern muss. Work-Life-Balance ist dann kein Schlagwort mehr, sondern wird zur gelebten Realität der Mitarbeiter. Von Work-Life-Balance zu Work-Life-Blending lautet so auch ein beliebter Schlachtruf der Vertreter der neuen Arbeit.
Wer sich noch intensiver mit den Theorien von Bergmann auseinandersetzen möchtet, findet einen guten Einstieg in diesem Kurzessay von Frithjof Bergmann selbst: New Work – New Culture by Frithjof Bergmann.
Was macht man jetzt daraus?
Es ist offensichtlich, dass New Work kein durchdeklinierter Lösungsansatz ist. Das Thema ist voller Ideen und fördert eine Kultur der digitalen, agilen, selbstbestimmten Arbeit. Doch der Weg dahin ist sehr verschieden und die konkrete Ausgestaltung ebenso. Nicht alles wird besser, nur weil man es als neue Arbeit verkauft. Es gibt ja Menschen, die möchten hierarchisch geführt werden. Es gibt sogar sehr viele Menschen, denen eine klare Trennung von Beruf und Privatleben wichtig ist. Von der Gefahr, zu viel zu arbeiten und den wachsenden Zahlen von Burnouts und anderen psychischen Erkrankungen ganz zu schweigen.
Zudem ist das Thema sehr branchenabhängig. Während Digital Consultants, Entwickler oder Autoren sehr einfach vom modernen Leben als Digital Nomad profitieren können, ist das für Ingenieure, Krankenpfleger oder Handwerker ein sehr theoretisches Produkt. Und am Ende muss immer noch ein gesundes, profitables Unternehmen stehen. Wenn alle Mitarbeiter beglückt und frei, die Kunden aber unglücklich sind, dann funktioniert die Arbeitswelt 4.0 nicht.
Heißt das, dass New Work nicht mehr als eine elitäre Idee für die glücklichen fünf Prozent ist? Mitnichten. Das Konzept ist Ausdruck eines Wandels der Arbeitswelt, der auf uns alle zukommt. Und je eher wir uns damit beschäftigen, desto besser. Denn am Ende wird die Zufriedenheit der Mitarbeiter über den Erfolg eines Unternehmens entscheiden. Und was könnte glücklicher machen, als seinen Traumberuf zu leben? Eben. Da muss man bloß Sebastian Kienle fragen.